Das eigene Stalking-Verhalten erkennen & Hilfe finden

Interview
Fragst du dich, wie es in Menschen, die andere stalken, aussieht und was der Grund für ihre Handlungen ist? Bist du dir unsicher, ob du selbst bereits dabei bist, eine Person zu stalken? Oder suchst du nach Unterstützungsmöglichkeiten, die dir dabei helfen, mit dem Stalken aufzuhören? In diesem Interview beantwortet Sandra Cegla, Kriminalkommissarin a. D. und Gründerin von SOS-Stalking, viele Fragen rund um die Täter:innen-Perspektive von Stalking.
In diesem Gespräch werden Täter:innen oft in männlicher und Betroffene in weiblicher Form angesprochen. Trotzdem gilt: Jedes Geschlecht kann sowohl Täter:in, als auch Opfer sein – alle Kombinationen sind möglich.

Kannst du erklären, wie Menschen überhaupt zu Stalker:innen werden können?

Auch hier sind natürlich die Fälle, die Beweggründe und die Motivation sehr unterschiedlich. Und es ist im Einzelfall eigentlich nahezu gar nicht zu klären, aus welchen Motiven eine Person überhaupt jemanden stalkt. Das muss auch immer nicht das sein, was sie sagt. Aber ich würde mal sagen, im Allgemeinen gibt es schon ein paar Sachen, die bei Stalker:innen sehr ähnlich sind. Zum einen ist es so, dass sie erstmal bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mitbringen, die dann quasi eine Art Disposition auch für stalkendes Verhalten sein kann. Und das ist schon, dass diese Persönlichkeiten sehr kränkbar sind. Das sind grundsätzlich Menschen, die so unsicher in sich sind und so leicht kränkbar, dass auch ganz normale Lebenssachverhalte für sie kränkend sein können. Und manchmal fantasieren sie auch einfach: Zurückweisung und Negatives, dass auch dort, wo wir sagen würden, da ist eigentlich kein kränkender Inhalt gewesen, sie es aber trotzdem als Kränkung empfinden. Das ist mir schon aufgefallen, dass das wirklich ein Persönlichkeitsmerkmal ist, was sehr viele Stalker:innen gemeinsam haben. Und dann sind es auch Menschen, die eben im Zwischenmenschlichen nicht so gut interagieren können. Die oft eben die Signale von anderen Menschen nicht richtig deuten können, sondern die meistens missdeuten oder umdeuten, eben so, wie es in ihre Welt passt (aber von einer anderen Person überhaupt nicht gemeint oder intendiert ist). Und auf der anderen Seite dann auch die Welt. Also, Menschen anders wahrnehmen und Zusammenhänge anders wahrnehmen. Das sind schon so Sachen, die sie gemeinsam haben. Und eine Sache noch: Sie sind eben oft auch nicht besonders bindungsfähig. Da würde ich schon sagen, dass sich diese Menschen sehr dadurch auszeichnen, dass sie sehr schwierige oder ambivalente Bindungen haben – oft auch in allen Lebensbereichen – manchmal auch nur im Bereich der Liebesbeziehungen, in dem sie scheitern. Das resultiert dann oft in mangelnder Bindungsfähigkeit. Das sind dann die Faktoren, die innerhalb einer Persönlichkeit oft vorhanden sind, v.a. innerhalb der Menschen, mit denen wir als stalkende Personen zu tun haben. Und dann ist es natürlich auch so, dass Stalking oft mit der Kränkung beginnt, also mit der realen oder empfundenen Zurückweisung. Das macht dann so eine massive Kränkung und so einen großen Schmerz bei der im Moment betroffenen Person, dass sie im Gefühl der Ohnmacht versucht, das Gefühl von Macht zurückzuerlangen. Und oft ist es ja so, dass der bzw. die Stalker:in quasi ausgerichtet ist auf diese eine Person, in die sie entweder verliebt ist, wo sie gerade gekränkt ist oder wo es eine Trennung gab. Aber zumindest gibt es eine starke Emotion, die sie zu dieser Person hinzieht. Gesundes Bindungsverhalten wäre dann, nach mehreren Anläufen, Kontaktversuchen und v.a. auch die Bindung wiederherzustellen und die Partnerschaft zurückzuerobern, wenn die andere Person dann sagt: „Hör auf, ich möchte das nicht.” Dann würde jemand, der sich gesund bindet, spätestens nach dem dritten Nein verstehen: „Okay, das hier ist eine Bindung, die mich kränkt, die mir weh tut. Also wende ich mich davon ab und wende mich anderen Bindungen zu, in denen ich das erfahren kann, was ich mir wünsche. Und ich verarbeite meinen Schmerz.” Und gerade diese Persönlichkeiten, die diesen Schmerz nicht verarbeiten können, die schaffen es nicht, aus der Bindung rauszugehen, sondern fokussieren sich umso mehr und gehen immer wieder in den Schmerz rein. Das heißt, sie gehen immer wieder an die Person ran, holen sich immer wieder die Kränkung ab, der Schmerz wird immer größer, dadurch tiefsitzender und gleichzeitig versucht aber der bzw. die Stalker:in über dieses: „Ich gehe immer wieder in diese Bindung rein und versuche, sie immer wieder aufzubauen. Aber dann bin ich irgendwann so gekränkt und emotional am Ende, dass ich nur noch rachsüchtig bin und nur noch der Person alles schlechte wünsche. Und sie soll jetzt dafür büßen, dass sie mein Leben zerstört hat.” Das ist ja wirklich die Wahrnehmung der Stalker:innen. Dass sie sich immer mehr festbeißen. Und über die Stalking-Handlung versuchen sie, Kontrolle zurückzuerlangen. Und kurzfristig bekommen sie auch immer wieder ein Linderungsgefühl über die Stalking-Handlung, aber langfristig gehen sie immer wieder tiefer in den Kreislauf rein und schaffen es nicht mehr, sich rauszulösen. Sie werden immer mehr gekränkt und haben immer größeren Schmerz. Das ist ein Teufelskreis, der sich immer wieder wiederholt, und wodurch es auch deutlich wird, warum es so wichtig ist, in Stalking-Fällen so früh wie möglich einzugreifen. Weil es auch für den Täter bzw. die Täterin leichter ist, sich vom Opfer zu trennen. Und es hört sich erstmal sehr herzlos und gemein an: Wir müssen klare Grenzen setzen und der Person auch mit Polizei und gerichtlichen Maßnahmen drohen und sie muss auch klare, rechtliche und v.a. auch schmerzhafte Konsequenzen erfahren, um zu verstehen, dass sie an die Betroffene nicht mehr ran darf. Es muss mit Schmerzen verbunden sein – leider. Für den Täter bzw. die Täterin ist es auch eine Erleichterung, wenn er bzw. sie aus der ganzen Fixierung und dem Festbeißen rauskommt und dann auch wieder durchatmen kann. Je nach Pathologie kann der Täter bzw. die Tätern wieder ein normales Leben leben oder bleibt im Muster gefangen und geht an die nächste Betroffene heran.

Nun ist ja Stalking auch meistens ein schleichender Prozess. Merken Täter:innen überhaupt, dass sie jemanden stalken? Fängt das mit ein paar Nachrichten an und wird dann in den Handlungen immer massiver?

Meine Erfahrung ist tatsächlich, dass die meisten Stalker:innen sich nicht so richtig dessen bewusst sind, dass sie stalken. Bei ihnen fängt alles mit einem sehr großen Schmerz an. Und dieser Schmerz fühlt sich an wie eine ganz tiefe Krise. Und das fühlt sich wirklich existenziell an. Ich glaube, dass Stalker:innen wirklich ein Gefühl des absoluten Kontrollverlusts haben, der sich anfühlt wie Sterben müssen oder wie ein Überleben. Es ist ein ganz existenzieller Schmerz für Stalker:innen. Und das machen sie sich oft aber nicht bewusst, sondern sie haben dieses starke Erleben und das lässt sie auch fühlen wie ein Opfer: „Da ist mir was passiert.” Und sie reflektieren das nicht auf der intellektuellen Ebene oder setzen ihren Verstand ein, sondern sind massiv in dieses emotionale Loch und in diese Krise reingezogen. Und aus diesem Gefühl von „Ich bin in einer Krise und diese andere Person hat mich da jetzt reingestürzt”, was in ihrer Welt auch irgendwie stimmt, denn die andere Person hat sich getrennt und mir geht es jetzt so schlecht. Diese Gedanken von: „Naja, sie hat aber ja auch das Recht und jetzt muss ich das überwinden und ich kann mich anderen Dingen und Menschen zuwenden. Und danach werde ich eine glückliche Partnerschaft haben.” Diese Gedanken haben Stalker:innen eben oft nicht, sondern sie bleiben in diesem Schmerz, in dem Opfergefühl und dem Gefühl des Schlechtgehens stecken. Und daraus entsteht dann oft auch die Idee: „Die andere Person ist tatsächlich Schuld an meinem kompletten Versagen. An meinem ganzen Leben. Alles ist kaputt, alles wegen dieser Person.” Und sie sind quasi so fix reingesaugt, dass sie automatisch anfangen, Nachrichten zu schreiben und wie aufgestachelt sind. Manche sind ein bisschen über den Kopf gesteuert und haben dieses tiefe Gefühl in sich, können dann aber trotzdem mit einem kühlen Kopf vorgehen. Andere jedoch sind einfach nur emotional völlig kopflos, aber auf jeden Fall steckt eben dieser große Schmerz dahinter. Und das fängt dann eben schon an, dass sie meistens sehr massiv auch gleich loslegen. Das ist dann nicht so schleichend langsam, sondern sie gehen voll rein. Das kann dann eine Zeit lang abebben und bei der nächsten Kränkung wieder ganz massiv werden. Und das kann aber auch grundsätzlich immer weiter nach oben gehen mit kleinen Schwankungen. Und wenn sie merken: „Oh, damit komme ich nicht weiter, jetzt hat sie hier zugemacht. Ich habe die Telefonnummer nicht mehr. Ich komme an das Social Media Profil nicht mehr ran. Dann muss ich andersrum gehen, ich muss doch irgendwie an sie rankommen.” Es ist wirklich ein ganz verzweifeltes, kopfloses Dasein. Und deswegen ist es tatsächlich auch so, dass viele Stalking-Handlungen ganz offen sind, weil sich die Täter:innen eben nicht bewusst sind, dass sie da Straftaten begehen. Und dass sie in ihrem Schmerz und in ihrer Not gerade Dinge tun, die einem anderen Menschen Schaden zufügen, und die wirklich auch einfach nicht in Ordnung sind, nicht anständig sind und nicht den normalen, zwischenmenschlichen Regeln entsprechen. Das sind Straftaten. Und deswegen sind die Dynamiken sehr unterschiedlich, aber meistens gehen sie schon sehr voll ins Stalking rein. Je nachdem, wann das dann bekannt wird, ist wirklich immer nochmal eine zweite Sache. Manchmal merken das die Betroffenen später erst, aber sie gehen sofort in die Handlung rein.

Nun sind das ja auch oftmals Handlungen, die viel Zeit und die Umstellung des eigenen Lebens in Anspruch nehmen, wenn ich die Person beispielsweise viel kontrolliere und z.B. schaue, wie sie sich von A nach B bewegt. Ab welchem Punkt würdest du denn sagen, ist das Stalking dann schon auch der absolute Inhalt des Lebens der Person?

Ja, das kann leider passieren. Oft ist das nicht gleich am Anfang. Es kommt dann auch immer sehr auf die Lebensumstände des einzelnen Menschen, des Stalkers, an. Aber das kann in dieser ganzen Dynamik von Stalking, in der ganzen Täter-Opfer-Beziehung, in der ganzen Fallentwicklung und natürlich dann auch in der ganz persönlichen Entwicklung des Stalkers, wo dann Ressourcen, die ich habe (z.B. mein Beruf, der plötzlich wegbricht; Freunde, die sich abwenden, weil ich keine Zeit mehr für sie habe oder weil sie mitkriegen, dass ich wie besessen bin und nur noch von einem einzigen Thema spreche), plötzlich wegfallen. Desto mehr kann das dann auch passieren, dass ich mich umso mehr an das Stalking klammere. Und als Überlebensstrategie und als Strategie, wieder ein Gleichgewicht in die Seele bzw. die Psyche hineinzubekommen. Von daher ist es tatsächlich so, in vielen Fällen sogar, dass im Laufe des Stalkings tatsächlich das Stalking zu einem absoluten Lebensinhalt werden kann. Gerade dann, wenn der Beruf wegfällt, habe ich noch mehr Zeit. Wenn ich keine Freunde mehr habe, habe ich noch mehr Zeit. Und, wenn mir auch die Kinder weggenommen wurden, habe ich auch noch mehr Zeit.

Gibt es – aus deiner Erfahrung in der Arbeit mit Stalking-Fällen – ein paar Reflexionsfragen, im Falle, dass vielleicht jemand zusieht, der bzw. die schon Stalking-Tendenzen hat? Um sich selbst bewusst zu machen, dass ich eine Linie überschritten habe, ohne dass es mir klar ist?

Ja, also ich kann mir auf jeden Fall immer die Frage stellen: Wenn ich Schmerz- und auch ein Opfergefühl empfinde, ist es immer total wichtig, das anzuerkennen. Denn wenn ich das empfinde, dann ist das für mich real, das ist meine Lebenswirklichkeit. Und das ist immer anzuerkennen, sowohl von mir selbst als auch von meinem Lebensumfeld. Aber ich sollte mir immer auch die Frage stellen: Bin ich hier wirklich Opfer? Emotional empfunden, ja, aber wenn ich es rational betrachte und mir jetzt die Fakten meines Lebens anschaue – bin ich wirklich ein Opfer? Oder agiere ich auch? Der Unterschied zwischen Täter und Opfer ist eigentlich nur der Eine: Das Opfer fühlt sich als Opfer, geht aber nicht in die Handlung, sondern in den Rückzug und sondert sich von anderen Menschen ab. Der einzige Unterschied zum Täter ist, dass er in die Handlung geht. Und die Handlung richtet sich gegen das Opfer. Und in dem Moment sprechen wir von der Täterin bzw. dem Täter. Ich sollte mir klar machen: Bin ich hier wirklich ein Opfer? Das Opfergefühl sollte man anerkennen. Wenn ich in die Handlung gehe: Für oder gegen was bin ich gerade in der Handlung? D.h. wenn ich ein Opfergefühl habe und ganz viele Dinge für mich tue (Ich brauche Rückzug von Menschen, aber gleichzeitig Meditation; oder ich brauche eine Auszeit, ich muss mich mal krankschreiben lassen, zur Kur oder in die Natur fahren, ich rede ganz viel mit meinen Freund:innen) – das sind alles Dinge, die ich für mich tun kann, um aus meinem Opfergefühl wieder herauszukommen. Oder versuche ich, mein Opfergefühl damit zu kompensieren, indem ich gegen die Person, von der ich glaube, dass sie Schuld an meinem Opfergefühl ist, vorgehe. Und das muss man sich auch nochmal ganz genau anschauen, weil wenn ich gestalkt werde und das echte Opfer bin, und ohne, dass ich etwas tue, permanent Attacken und Bedrohungen bekomme, dann ist es natürlich richtig, gegen diesen Menschen, der mir wirklich permanent etwas antut, vorzugehen. Wenn ich aber sage, es ist eigentlich auf der emotionalen Ebene, die Person hat sich von mir zurückgezogen und seitdem geht es mir schlecht, aber sie macht nichts, sie agiert überhaupt nicht. Sondern mein Schmerz ist, dass sie nicht agiert. Dann darf ich mir die Frage stellen: Gehe ich gegen diese Person vor, um Kontakt bzw. eine Beziehung zu erzwingen, die es ohne Stalking nicht geben würde? Also, das sind schonmal sehr gute Indikatoren, die ich zum Einen mal für mich selbst überprüfen darf, aber gerne auch mit Vertrauenspersonen. Entweder aus dem eigenen Umfeld oder von professionellen Beratungsstellen.

Wo du jetzt auch die Beratungsstellen angesprochen hast: Wo kann ich denn Hilfe finden?

Also es gibt unterschiedliche Möglichkeiten. Das sollte man immer auch im Internet nochmal nachschauen, wie gerade der aktuelle Stand ist. Denn auch im Helfersystem ist eine gewisse Dynamik drin, an guten Beratungsstellen, die da sind und dann auch leider wieder gehen, dann kommen aber neue. Aktuell sind mir zwei Anlaufstellen bekannt, die auch aktiv mit Täter:innen arbeiten. Und das ist einmal Stop Stalking in Berlin, die arbeiten ganz aktiv mit Täter:innen. Und das ist einmal, da weiß ich jetzt nicht genau, wie sie heißen, aber das ist eine Beratungsstelle in Bremen, die sich auch intensiv mit Täter:innen auseinandersetzen. Das macht auf jeden Fall total Sinn, sich entweder dort zu melden. Vielleicht gibt es aktuell auch neue Angebote, die wird man dann auf jeden Fall im Internet finden. Da sollte man auf jeden Fall aktiv werden. Eine spannende Sache ist mir aufgefallen: Wenn ich Erfahrungsberichte im Internet oder in der Presse verfolge, da ist mir einmal auch die Äußerung begegnet, von einem Psychotherapeuten, der gesagt hat: „Mensch, das ist ja spannend, ich habe irgendwie den Eindruck, dass mehr Frauen stalken als Männer.” In unseren Fällen zeichnet sich das nicht ab, sondern bei uns sind 80 % der Stalker männlich, und 20 % weiblich. Bei den Opfern eben genau andersrum. Das hat mich natürlich zum Nachdenken gebracht. Und dann ist mir aufgefallen: Die Stalker, mit denen wir es zu tun haben, das sind „echte” Stalker, zu 100 %. Sie halten sich aber nicht für Stalker. Die würden niemals freiwillig zu einer Beratungsstelle gehen und fragen: Stalke ich eigentlich oder nicht? Ein Stalker zeichnet sich dadurch aus, dass er sich selbst nicht reflektieren kann. Und dass ihm die Tragweite seiner Handlungen überhaupt nicht bewusst sind. Und schon gar nicht, was es für einen Effekt bei der Betroffenen hat. Ein Stalker hat das überhaupt nicht in seinem Bewusstsein, sonder wäre er auch gar kein Stalker. Also wenn ihm das bewusst wäre, würde er sich irgendwann hinterfragen und aufhören. Bei Frauen ist es oft so, dass sie schon auch mal in Liebeskummer steckenbleiben können und diesen Zwang dann auch empfinden: „Ich muss an ihm dranbleiben, ich muss mir auf Social Media ständig alles angucken. Es tut mir gar nicht gut, aber ich komm da irgendwie auch nicht raus.” Das sind meistens aber keine Stalkerinnen, weil sie sich im Hintergrund alles angucken, aber nicht aktiv werden. Und in dem Moment, wo ich die Information, die ich sammle, die mir selber nicht gut tun, aber nicht nach außen gehe und dann aktiv gegen diesen Menschen Handlungen unternehme, bin ich keine Stalkerin. In meinem Inneren empfinde ich das aber so. Und Frauen sind tendenziell mehr reflektiert und offener für Hilfe. D.h. eine Frau würde eher zu einer Beratungsstelle gehen und sagen: „Ich muss mich hinterfragen. Das ist nicht mehr gesund, ich will da raus.” Und oft kommen die Frauen auch mit Beratung relativ schnell raus, weil sie überhaupt wahrgenommen haben, dass sie Dinge tun, die ihnen selber nicht gut tun, aber vielleicht auch in die Richtung gehen können, dass sie irgendwann eine Grenze überschreiten, und das wollen sie oft nicht. Und so kann bei einer Beratungsstelle natürlich auch der Eindruck entstehen: Frauen stalken ja mehr als Männer. Würde ich zumindest hinterfragen wollen.

Was würdest du den Menschen, die jetzt gerade zuschauen, die sich vielleicht auch selber in dem Video wiedererkannt haben, noch mitgeben?

Ich würde mitgeben, dass es auf jeden Fall immer erstmal ernst zu nehmen ist. So gut es geht, sollte man auch einfach neutral anerkennen, also sich selbst gegenüber wohlwollend zu sein. Genau so, wie man sich es vom Umfeld wünscht, behandelt zu werden, sollten wir erstmal uns selbst behandeln. Im Sinne von: Ich bin emotional in einer Notlage und irgendwie drängt meine Seele jetzt danach, es in der und der Art und Weise zu kompensieren. Und das ist erstmal normal und das ist erstmal menschlich. Ganz wichtig ist es, dass wir uns selber nicht verurteilen. Das bringt an der Stelle überhaupt nichts. Und das wäre am Ende auch der Mechanismus, der mich davon abhält, mir beispielsweise Unterstützung zu holen. Wenn meine Seele irgendwie mir ausdrückt, dass es mir schlecht geht, ich habe starke Emotionen und empfinde starken Schmerz; ich kann irgendwie meinen Lebensalltag gerade nicht richtig bewältigen. Dann sollte ich das für mich selber als Krise anerkennen und, dass ich jetzt Heilung und Unterstützung brauche, und da step by step rausgehen darf. Heilung bedeutet eben auch, das geht nicht von heute auf morgen, es gibt aufs und abs, Rückfälle. Aber wichtig ist es, anzuerkennen und einfach immer dran zubleiben. Dranzubleiben und mir ein gesundes, gutes Umfeld aufzubauen, was mich regelmäßig unterstützt. Was auch darauf achtet, dass ich am Ball bleibe, mich immer wieder motiviert und mir auch Wohlwollen und etwas Liebevolles spiegelt. Das sollte ich unbedingt berücksichtigen. Also, mir selber gegenüber liebevoll auftreten und mir auch genau dieses Umfeld schaffen, damit ich step by step da wieder rauskommen kann.
Hast du die in diesem Interview besprochenen Erfahrungen in gleicher oder ähnlicher Form selbst gemacht – oder kennst eine akut betroffene Person? Dann wende dich gerne an die hier hinterlegten psychologischen Ansprechpersonen oder eine Beratungsstelle. Auf beiden Wegen kannst du dich jemandem (anonym) anvertrauen und Unterstützung finden.

In diesem Interview hast du eine Reihe von Eindrücken gewonnen, wie es in Menschen, die Stalking-Handlungen begehen, aussieht und was ihnen helfen kann. Möchtest du mehr über die Perspektive von Menschen erfahren, die von Stalking betroffen sind? Oder weißt du noch gar nicht genau, was Stalking eigentlich ist? Dann findest du in dieser Mediathek weitere Interviews und Beiträge, in denen dir diese und viele weitere Fragen beantwortet werden.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.